Die Initiative „Weltoffenes Thüringen“ stellte sich als breites Bündnis aus Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Politik und Kultur offiziell in Jena vor. Mit-Initiator Eric Wrasse erklärt im Interview, welchen Ansatz das Bündnis verfolgt.
(Foto: © Thomas Müller/Weltoffenes Thüringen)
Rechtsextreme Übergriffe auf die Zivilgesellschaft, Schändungen von Erinnerungsorten an NS-Verbrechen, hohe Zustimmungswerte für eine vom Thüringer Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD – einige Beweggründe, die zur Gründung der Initiative „Weltoffenes Thüringen“ führten. Das breite Bündnis von Menschen und Institutionen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Politik, Kirchen sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen stellte sich am 25. Januar offiziell in Jena vor.
„In Sorge um die Demokratie in unserem Land engagieren sich in ‚Weltoffenes Thüringen‘ Organisationen und Menschen aus dem gesamten Freistaat“, heißt es in einem Statement der Initiative, der sich inzwischen weit über 3.000 Organisationen und Einzelpersonen angeschlossen haben. Man sehe die Demokratie und Menschenrechte im Freistaat bei einem rechtsextremen Politikwandel im „Superwahljahr 2024“ bedroht.
Allerdings: Rund 70 Prozent der wahlberechtigten Thüringerinnen und Thüringer bekennen sich zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Diese Menschen wolle das Bündnis sichtbar machen und in ihrer Haltung bestärken, denn „letztlich wird der liberale Rechtsstaat angegriffen, da werden die Grundlagen unseres friedlichen, humanen und auf Vielfalt ausgerichteten Zusammenlebens verächtlich gemacht. Diese Demokratie ist eine der zentralen Schlussfolgerungen, die wir in Deutschland aus der Zeit des Nationalsozialismus gezogen haben“, so Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
von links nach rechts: Prof. Peter Benz (Bauhaus-Universität Weimar), Dr. Ulrike Lorenz (Klassik-Stiftung Weimar), Katya Glybowskaja (Liga der freien Wohlfahrtpflege Thüringen), Ralf Finke (WELTOFFENES THÜRINGEN), Dr. Friederike Spengler (Regionalbischöfin Ev. Kirche Mitteldeutschland) und Thomas Röhler (Olympiasieger Speerwurf).
(Foto: © Thomas Müller/Weltoffenes Thüringen)
Auch die Thüringer Wirtschaft – mit international tätigen Großunternehmen wie Schott oder Jenoptik – positioniert sich mit ihrer Beteiligung an dem Bündnis deutlich, denn Unternehmen und junge gut ausgebildete Menschen wandern eher ab, wenn sich ihr Umfeld als wenig tolerant und offen darstellt.
Auf zahlreichen Veranstaltungen in unterschiedlichen Lebensbereichen will „Weltoffenes Thüringen“ in diesem Jahr sichtbar werden: über die Aufklärung, welche Konsequenzen eine rechtsextreme Politik für die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens hätte, oder über Aktionen, die Chancen und Möglichkeiten einer demokratischen Gesellschaft darstellen. „Alle Beteiligten haben eigene Ansätze, Zielgruppen, Veranstaltungsformate, Kunden oder Wirkungsbereiche“, erklärt Mit-Initiator Eric Wrasse von der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) im Interview:
MdM: Herr Wrasse, auf wen geht die Schaffung von „Weltoffenes Thüringen“ zurück?
WRASSE: Die Initiative wurde im August letzten Jahres gestartet. Dabei waren neben der Klassik Stiftung Weimar, der Gedenkstätte Buchenwald, der Bauhaus Universität und der Musikhochschule Weimar sehr schnell auch die Evangelische Kirche Mitteldeutschland und der Landessportbund sowie die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Thüringen. Es schien, als hätten alle auf ein Signal gewartet. Viele Thüringer*innen verstehen, dass wir nicht einfach zusehen können, wenn Demokratie und Menschenrechte in Gefahr sind.
Welcher Ansatz soll verfolgt werden, um Thüringen weltoffen zu halten?
Wir wollen den breiten demokratischen Schulterschluss in Bildung, Kirche, Kultur, Gewerkschaften, Sport, Wirtschaft und Wissenschaft öffentlich sichtbar machen unter dem Dach „Weltoffenheit“. Alle Beteiligten haben eigene Ansätze, Zielgruppen, Veranstaltungsformate, Kunden oder Wirkungsbereiche. Jede*r wird die Botschaften der Initiative dort kommunizieren und einbringen. Wir als EJBW sind eine Institution der politischen Bildung; wir werden einen Fachtag zum Thema Rechtsruck veranstalten, bei dem wir uns mit der Ideologie der Rechtsextremist*innen beschäftigen. Die Klassik Stiftung und die Gedenkstätte Buchenwald werden Ausstellungen anbieten, zu den Themen „Bauhaus und NS“ sowie „Zwangsarbeit“. Kreativagenturen entwickeln eine Social-Media-Kampagne, Unternehmen wie Jenoptik gehen stark in die Öffentlichkeitsarbeit und weisen darauf hin, wie wichtig die EU und inländische wie ausländische Fachkräfte für die Wirtschaft sind. Die Kirchen werden in die Gesellschaft hinein die Botschaft der freien Religionsausübung und die Anerkennung des Wertes jedes einzelnen Menschen vermitteln. Für die Wohlfahrtverbände ist beispielsweise das Thema Inklusion wichtig. Wir dürfen nicht zulassen, dass Leben jemals wieder als „unwert“ betrachtet wird.
Wie sehen Sie die Rolle digitaler Plattformen und sozialer Medien für Ihre Bemühungen?
Rechtsextreme Stimmen sind sowohl online als auch offline sehr laut geworden. Sie nehmen für sich in Anspruch, für das „Volk“ zu sprechen. Dies ist überhaupt nicht der Fall. Der als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD stehen von unseren Steuergeldern bezahltes Personal und Budgets in erheblichem Ausmaße zur Verfügung. Diese werden unter anderem für Desinformation via Social Media verwendet, die darauf abzielt, die Demokratie zu untergraben. Das ist skandalös! In Deutschland werden die Gegner der Demokratie also staatlich alimentiert. Russland setzt Bots und Fake-Profile ein, um die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen – gegen diese Übermacht werden wir mit unseren Social-Media-Kanälen nicht ankommen können. Aber wir können vernetzen, stärken, Mut machen, für Zusammenhalt, Respekt, Mitbestimmung, Vernunft werben. Noch mehr Hass und Spaltung kann kein Mensch gebrauchen.
Gibt es bereits Reaktionen der politischen Akteure in Thüringen auf die Schaffung der Initiative?
Ich freue mich, dass die Initiative von allen im Thüringer Landtag vertretenen demokratischen Parteien unterstützt wird. Wir sind überparteilich, das ist uns sehr wichtig. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat ebenso wie Oppositionsführer Mario Voigt mit gezeichnet. Die Auftaktveranstaltung fand im Rathaus Jena statt, das von FDP-Oberbürgermeister Thomas Nitzsche geführt wird. Genauso sind prominente Politiker*innen von SPD und Grünen sowie Parteilose mit dabei. Wir freuen uns sehr über diese Unterstützung. Die Initiative ist und bleibt jedoch eine zivilgesellschaftliche – es ist keine Parteiinitiative und keine, die vom Staat ausgeht.
In diesem Jahr haben auch andere ostdeutsche Länder wie Sachsen und Brandenburg Landtagswahlen – auch dort verzeichnet die AfD in Umfragen Höchstwerte. Was sehen Sie aber als spezifisch thüringische Herausforderung, die Sie und „Weltoffenes Thüringen“ angehen müssen?
Die Amadeu Antonio Stiftung zählt seit 1990 über 190 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland. Das ist eine unglaubliche Zahl – ein unglaubliches gesellschaftliches, politisches und polizeiliches Versagen. Eine unermessliche Schande für Deutschland. Wir dürfen kein einziges Todesopfer mehr zulassen. Thüringen und die NSU sind ein tragisches Kapitel in diesem Totenbuch. Die letzte Regierungsbildung in Thüringen mit der Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich durch die AfD hat die Demokratie hier schon einmal knapp an den Abgrund geführt. So etwas darf nie wieder geschehen. Insbesondere die bürgerlich-konservativen Parteien CDU und FDP haben eine immense Verantwortung, keine Steigbügelhalter für Faschist*innen zu sein. Hier wünsche ich mir von der CDU mehr Klarheit, Haltung. Stattdessen sehen wir Ansätze von Zusammenarbeit in Kommunalparlamenten und im Thüringer Landtag, wie zuletzt bei den Beschlüssen zu den Themen Gendern und Grunderwerbssteuer. Die auf solche Weise gewonnenen Beschlüsse stehen für mich in keinem Verhältnis zum Schaden für die Demokratie, den sie verursachen.
Vielen Dank für das Interview, Herr Wrasse.
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