Der deutsche Wald steckt in der (Klima-)Krise. Auch im „grünen Herz Deutschlands“ sucht man nach Lösungen. So versucht die Initiative „Lebe deinen Baum“, eine positive Wende mit Baumpflanzaktionen zu schaffen.
Die vierte Bundeswaldinventur hat gezeigt: Den Wäldern in Deutschland geht es nicht gut. Auch in Thüringen leiden die Wälder seit dem Jahr 2018 unter wiederholten Hitze- und Trockenperioden; lediglich 18 Prozent der Waldbäume sind gesund. Besonders die Fichte verzeichnet große Flächenverluste. Zugleich verschiebt sich in den Wäldern des Freistaats das Verhältnis von Nadel- hin zu Laubbäumen zugunsten der klimaresilienteren Eichen, Buchen und Ahorne.
Dem Wald in Thüringen eine Zukunft geben, das will die neue Initiative „Lebe deinen Baum“, die in diesem Jahr in Kooperation des Regionalverbunds Thüringer Wald e.V. mit ThüringenForst, der Landesforstanstalt im Freistaat, auf die Beine gestellt wurde. Diese bietet ganzjährig und digital buchbare Baumpatenschaften im Thüringer Wald an. Mehr zur Motivation und dem Zustand des Waldes berichten Antonia Sturm, Geschäftsführerin des Regionalverbunds Thüringer Wald e.V., und Willy Hesselbach, Referent für Waldbau, Jagd und Fischerei in der ThüringenForst-Zentrale:
MdM: Frau Sturm, nicht selten werden Baumpatenschaften oder Baumpflanzaktionen als Tropfen auf dem heißen Stein kritisiert. Was entgegnen Sie solchen Skeptikern hinsichtlich der Aktion „Lebe deinen Baum“?
ANTONIA STURM: Im Unterschied zu zahlreichen einmaligen Baumpflanzaktionen ist „Lebe deinen Baum“ eine rundum nachhaltige Initiative. An 365 Tagen im Jahr und mit nur wenigen Mausklicks über die Buchungsplattform lebe-deinen-baum.de können Interessierte ihren eigenen Baum für den Thüringer Wald erwerben und auf Wunsch selbst einpflanzen. Wir sind davon überzeugt, dass durch das Pflanzen von Bäumen neuer Lebensraum geschaffen und ein aktiver Beitrag für die Wiederaufforstung und den Klimaschutz geleistet wird. Jeder Setzling, jeder Baum hilft, den Thüringer Wald für zukünftige Generationen zu bewahren – und ist zudem eine besondere Geschenkidee für Geburt, Hochzeit oder runde Geburtstage.
Wie steht es denn derzeit um den Wald in Thüringen?
WILLY HESSELBACH: Der Zustand des Waldes in Thüringen wird seit dem Jahr 2018 stark durch extreme Witterungsbedingungen beeinflusst. Wiederkehrende Hitze- und Trockenperioden setzen die Waldbäume unter enormen Stress. Trotz insgesamt günstigerer Witterungsbedingungen als im Vorjahr hat sich der Zustand des Waldes auch in diesem Jahr weiter verschlechtert: Der Waldflächenanteil mit deutlichen Vitalitätsverlusten liegt derzeit bei 53 Prozent. 29 Prozent der Waldbäume weisen leichte Vitalitätsverluste auf; lediglich 18 Prozent der Waldbäume sind gesund. Die in Thüringen kalamitätsbedingt geschädigte Waldfläche über alle Eigentumsformen hat ein Ausmaß von mehr als 120.000 Hektar erreicht – das entspricht mehr als einem Fünftel der gesamten Waldfläche des Freistaats. Schwerpunkt dieses Schadgeschehens sind aufgrund des Borkenkäfers die fichtendominierten Bestände, beispielsweise im Harz oder im Thüringer Wald, aber auch andere Baumarten wie Buche und Eiche leiden.
Das Wachstum von Setzlingen bis zum stattlichen Wald dauert mehrere Jahrzehnte – wie lassen sich kurzfristig positive Effekte für den heimischen Wald erzielen?
WILLY HESSELBACH: Langfristig hilft der Aufbau naturnaher Dauerwälder mit standortsgerechten, baumartenreichen, strukturreichen und ungleichaltrigen Beständen. Diese Bestände erweisen sich aufgrund ihrer Elastizität und Stabilität als wesentlich resilienter sowohl gegenüber abiotischen Risiken wie Sturm als auch biotischen Risiken wie Schadinsekten. Zur Erreichung dieses Ziels sollte jeder Eingriff ein Schritt hin zum Dauerwald sein. Der Umbau von einschichtigen, homogenen und baumartenarmen Beständen hin zum naturnahen Dauerwald dauert viele Jahrzehnte. Ein zu forsches Vorgehen schadet dabei mehr, als dass es hilft, da zum Beispiel ein zu starkes Auflichten den Bestand erst einmal destabilisiert. Das Ergebnis zeigt sich dann beim nächsten Sturm in Form vieler abgeknickter Bäume.
Auf den die letzten Jahre entstandenen Schadflächen stellt sich vielerorts Naturverjüngung ein. In dieser finden sich meist auch Birken, Ebereschen und andere lichtbedürftige Pionierbaumarten mit ein. Dadurch und/oder durch gezielte Pflanzung weiterer standortsgerechter Baumarten sind in kurzer Zeit die Ausgangsvoraussetzungen für einen baumartenreichen Mischwald bereits gegeben. Jetzt heißt es, diese Baumartenvielfalt über die nächsten Jahre zu retten. Das geschieht durch die so genannte Mischungsregulierung: Lichtbedürftige Baumarten werden früher oder später von den weniger lichtbedürftigen bedrängt. Werden sie dann nicht durch gezielte Pflege gefördert, verschwinden sie zumeist wieder. Das Resultat ist ein Wald aus einigen wenigen Baumarten, die in Konkurrenz um Licht und Nährstoffe nebeneinander bestehen können.
Bei älteren und noch intakten Beständen ist eine regelmäßige und nicht zu schematische Durchforstung hilfreich. Durch die Entnahme einiger Bäume wird der Bestand aufgelichtet. Dadurch wird eine gute Ausgangssituation für sich einfindende Verjüngung geschaffen. Dies ist besonders effizient, wenn die Altbäume voll mit Früchten oder Zapfen hängen und kann durch gezielte Maßnahmen wie der Bodenverwundung noch gefördert werden. Falls sich keine Naturverjüngung einstellt – oder zur Ergänzung dieser – ist zudem eine Pflanzung geeigneter Baumarten möglich. Die richtige Beurteilung der Situation erfordert allerdings auch entsprechendes Fachwissen. Die zuständigen Förster/innen vor Ort beraten Waldbesitzende bei Bedarf hierzu.
„Der Zustand des Waldes in Thüringen wird seit dem Jahr 2018 stark durch extreme Witterungsbedingungen beeinflusst.“
Links: Eine Schadfläche in Thüringen mit Baumstubben, dazu die Maßnahme zur Vor-Ort-Kommunikation.
(Foto: Dr. Horst Sproßmann)
Wo sehen Sie die Kommunal- und Landespolitik in der Verantwortung, wenn es um die Zukunft des Waldes in Thüringen geht?
WILLY HESSELBACH: Wiederbewaldung und Waldumbau sind kostspielig und nicht jeder Waldbesitzende hat die Möglichkeiten, seinen Wald in den Zustand zu versetzen, sich gegenüber Schadereignissen zu behaupten. Die Gründe dafür sind vielfältig: kleine, ungünstig geschnittene Flurstücke, zersplittertes Waldeigentum, beschränkte finanzielle Möglichkeiten, fehlendes Fachwissen und vieles mehr. Die ThüringenForst – AöR kann hier vielerlei Unterstützung bieten, in Form kostenloser Beratung, bei der die zuständige Förster/innen dem Waldbesitzenden mit seinem Fachwissen zur Seite steht, oder durch eine kostenpflichtige Betreuung, bei der dem Waldbesitzende viele Arbeiten durch die Forstleute abgenommen werden können. Zudem gibt es durch das Land und den Bund Förderprogramme, um die Waldbesitzenden finanziell zu unterstützen. Von daher gibt es bereits einige gute Unterstützungsinstrumente.
Ein wichtiger Baustein ist aber auch ein verstärkter Zusammenschluss von Waldbesitzenden, zum Beispiel in sogenannten Forstbetriebsgemeinschaften. Die Zusammenschlüsse fungieren gegenüber forstlichen Dienstleistenden und Holzkäufern als wirtschaftliche Einheit. Forstdienstleistende benötigen aufgrund wirtschaftlicher Aspekte beispielsweise bei der Holzernte Mindestmengen. Ähnlich verhält es sich mit Holzkäufern. Ist die eigene Waldfläche zu klein, bleibt dann nur noch die Eigennutzung. Die forstwirtschaftlichen Zusammenschlüsse entfällt dieser Nachteil und gerade im Kleinprivatwald wird eine Bewirtschaftung und somit eine gezielte Entwicklung des Waldes oft erst möglich. Auf die Bildung sowie Funktionsfähigkeit dieser Vereinigungen mit hinzuwirken ist auch Aufgabe der Politik.
Was wünschen Sie sich als konkretes Ergebnis des „Lebe deinen Baum“-Projekts?
ANTONIA STURM: Der Thüringer Wald ist Herz und Seele des Freistaats und soll das auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bleiben – trotz Klimawandel, Schädlingsbefall und Sturmschäden. Einheimische und Gäste identifizieren sich stark mit dem Thüringer Wald, was enormes Potenzial birgt. Das Projekt „Lebe deinen Baum“ trägt dazu bei, dass wir alle den Thüringer Wald leben und seine Zukunft mitgestalten. Darüber hinaus lernen die Gäste den Thüringer Wald dank der Pflanzaktionen auf eine ganz neue Art kennen und schätzen. Wir ermutigen sie, weitere touristische Leistungen der Destinationen wahrzunehmen, wovon die gesamte Region profitierten wird. Dass immer mehr Tourismus-Partner, darunter Gastgeber und Gastronomen, auf die Aktion zurückgreifen und eigene Pakete schnüren, beispielsweise um ihren Gästen die Gelegenheit zu geben, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, ist ein echter Erfolg. Gerade für Familien ist es ein besonderes Erlebnis, einen eigenen Baum zu pflanzen und beim nächsten Aufenthalt zu schauen, was aus ihm geworden ist.
Haben Sie beide vielen Dank für die Eindrücke!
Die Fragen stellte Frank Kaltofen.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.