Bestände erschließen, bewahren, zugänglich machen: Kulturinstitutionen wie Bibliotheken, Archive und Museen setzen dabei immer stärker auf digitale Anwendungen. Ein Gespräch über Potenziale und Problemstellungen.
(Fotomontage: Wallstein Verlag)
MdM: Welche neuen Erkenntnisse zu bereits bekannten Werken lassen sich mit der digitalen Erschließung von – zum Teil sehr umfangreichen – Beständen erhoffen?
Günther: Oft sind große Mengen an Werken und Objekten für die Forschung zunächst kaum zu überblicken. Befragt man zahlenmäßig umfangreiche Bestände und Sammlungen jedoch digital nach inhaltlichen Aspekten, Herkunft oder Autorschaft, ergeben sich vielleicht bisher unbekannte Schwerpunkte, die dann auch das Einzelwerk in neue Kontexte setzen können. Das setzt jedoch voraus, dass die Objekte sorgfältig – mit kohärenten Metadatensystemen – erschlossen und verschlagwortet wurden. An dieser Stelle muss die analoge Forschungsarbeit geleistet worden sein.
Welche digitalen Ansätze sehen Sie als besonders vielversprechend, um „klassische“ Kulturinhalte in Museen oder Literaturarchiven attraktiver für breitere Zielgruppen zu machen?
Alschner: Augmented- und Virtual-Reality sind nun bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Formaten im Einsatz, um Museen und Literaturarchiven neue Möglichkeiten der Vermittlung und Interaktion mit dem Publikum zu eröffnen. Auch die Klassik Stiftung Weimar erprobt hier beispielsweise im Rahmen von Goethe-Live-3D den Einsatz von VR im Museumsbereich. Die Erfahrung zeigt aber, dass digitale Technologie hier nicht zum Selbstzweck werden darf und das Publikum diesbezüglich auch durchaus kritisch ist. Die Besucher wollen sowohl im analogen als auch im digitalen Raum weiterhin inhaltlich spannende und relevante Themen vermittelt bekommen. Der Einsatz von AR und VR darf nicht zur bloßen „glitzernden Verpackung“ werden, in der sich letztendlich nur heiße Luft befindet. Breite und vielleicht auch neue Zielgruppen lassen sich auch mit digitalen Mitteln nur gewinnen und binden, wenn Technik und inhaltliche Vermittlungsarbeit Hand in Hand gehen und dabei stets reflektiert wird, wo der Einsatz auch sinnvoll ist.
Wie verändern sich dadurch auch die Berufsprofile in Archiven, Museen und anderen Kultureinrichtungen?
Alschner: Eine gewisse digitale Affinität schadet heute und in der Zukunft in vielen Berufsbildern von Kultureinrichtungen sicher nicht, möchte man die verschiedenen digitalen Entwicklungen mitgehen und diese vielleicht auch mitgestalten. Viel mehr als auf die spezifischen Berufsprofile wird es aber auf interdisziplinäre Teams ankommen. Es müssen sich wahrscheinlich weniger die Berufsprofile als die Arbeitskulturen in den Einrichtungen ändern. Die verschiedenen Bereiche – wie Erschließung, Forschung, Digitalisierung, Infrastruktur – müssen viel mehr und viel stärker als früher zusammenarbeiten und in den Austausch miteinander kommen.
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Viele der digitalen Technologien sind durchaus kostenintensiv – begrenzt das nicht schon die Möglichkeiten für viele Kulturinstitutionen?
Günther: Digitalisierung kann vieles vereinfachen und eröffnet vielfältige neue Möglichkeiten, hat aber natürlich auch
einen Preis. Speicher-Infrastruktur, Scanner, Lizenzgebühren für verschiedene Anwendungen, Personal, Support... man könnte noch vieles mehr aufzählen. Natürlich können Verbünde oder große Institutionen wie Landesbibliotheken hier viel unterstützen und dabei kann vermieden werden, dass unnötige Parallelstrukturen aufgebaut werden. Auch die NFDI-Konsortien (Nationale Forschungsdateninfrastruktur, Anm. d. Red.) sind hier ein wichtiger Baustein. Was jedoch von den großen und kleinen Kulturinstitutionen selbst ausgehen muss, ist die Bereitschaft, Dinge zu verändern, sich zu öffnen und den Schritt hin zu digitalen Angeboten und Prozessen zu machen. Wo kann mir die Digitalisierung helfen? Was möchte ich als Institution damit erreichen? Wenn diese Fragen geklärt sind, kann man sich viel gezielter nach Unterstützung umsehen und auch die eigenen Ressourcen viel besser verplanen.
Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Wie schätzen Sie derzeit die Möglichkeiten und Herausforderungen von KI-Einsatz ein, was die Erschließung und Vermittlung des kulturellen Erbes angeht?
Günther: KI hebt die Möglichkeiten, die sich im Kulturbereich bisher durch die Nutzung von digitalen Anwendungen die letzten Jahre ergeben haben, nochmal auf ein ganz neues Level. Bereits digitalisierte Bestände lassen sich nun automatisch verschlagworten und auf Ähnlichkeiten hin untersuchen, auf Texten können gezielt strukturierte Daten zu Provenienzen oder für stilistische Analysen gewonnen werden.
Alschner: Damit verbunden sind große Herausforderungen für Kulturinstitutionen. Dies betrifft zum einen IT-infrastrukturelle Anforderungen, welche KI-Anwendungen stellen, und zum anderen natürlich notwendiges technisches Know-How. Verwendet man bereits bestehende KI-Modelle, muss man sich zudem damit auseinandersetzen, mit welchen Daten diese trainiert wurden und ob sie einen Bias aufweisen. Auch Maßnahmen, die letzterem entgegenwirken sollen, sind oft nicht unproblematisch und oft sind die Modelle sogenannte black boxes – das heißt, man kann gar nicht abschließend beurteilen, wie gewisse Parameter und Verhaltensweisen der KI zu bewerten sind. Alles in allem kommt damit neben all dem Nutzen auch ein großer Mehraufwand auf die Institutionen zu und es ist immens wichtig den Einsatz von KI möglichst transparent zu dokumentieren, damit andere nachvollziehen können, wie die Daten und Forschungsergebnisse entstanden sind.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Frank Kaltofen.
Katharina Günther und Stefan Alschner haben den Band „Sammlungsforschung im digitalen Zeitalter – Chancen, Herausforderungen und Grenzen“ (Wallstein Verlag 2024) herausgegeben. Der Tagungsband erscheint als Teil des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW), zu dem unter anderem die Klassik Stiftung Weimar gehört.
Das Buch ist im Open-Access-Format verfügbar.
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