Ein Gespräch mit Dr. Judith Matzke, 1. Vorsitzende des Vereins für sächsische Landesgeschichte, über Ansätze zur Vernetzung historisch arbeitender Vereine in Mitteldeutschland.
Viele Geschichtsvereine haben mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen – und das obwohl das Interesse an historischen Themen in der Gesellschaft groß ist. Die Workshop-Reihe #Geschichtsvereine2x adressiert die Herausforderungen wie Sichtbarkeit und Nachwuchsgewinnung, denen sich viele ehrenamtlich Arbeitende gegenübersehen.
Im Vorfeld der diesjährigen Auflage #Geschichtsvereine22, die am 11. Juni im sächsischen Kohren-Sahlis stattfindet, erläutert Dr. Judith Matzke, wie Geschichte vor der eigenen Haustür erlebbar werden kann und welche Szenarien es gibt, um die Vereine zukunftsfähig zu machen.
MdM: Frau Dr. Matzke, der Workshop #Geschichtsvereine22 knüpft an die Veranstaltung im Jahr 2020 an und widmet sich Vernetzung und Methoden moderner Vereinsarbeit. An welche Zielgruppe richtet sich das Format und welcher Ansatz wird damit verfolgt?
JUDITH MATZKE: Der Workshop richtet sich an aktive Mitglieder:innen in historisch arbeitenden Vereinen. Er möchte ein Forum bieten, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und versteht sich als Weiterbildungsangebot von Vereinen für Vereine. Als Verein für sächsische Landesgeschichte liegt der Fokus unserer Angebote in erster Linie auf Sachsen. Die Workshop-Reihe #Geschichtsvereine2x kennt aber praktisch keine regionalen Grenzen. Viele Vereine stehen unabhängig von ihrem Standort vor ähnlichen Herausforderungen, so dass wir bereits im letzten Jahr Gäste aus Hamburg, Köln, Schwerin und Bayern hatten. Alle Interessierten sind willkommen.
Welche Herausforderungen haben die Vereine im historischen Themenfeld Ihrer Meinung nach gemeinsam? Welche Rolle spielt dabei das Ehrenamt?
Wir erleben in unserer Gesellschaft einerseits ein großes Interesse an historischen Themen, denken Sie nur an die große Zahl von Dokumentationen und Reportagen in den Medien. Andererseits haben Geschichtsvereine vor Ort vielfach mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Sie haben oft große Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden, der sich an die feste Struktur eines Vereins binden möchte. Dabei sind sie wichtige Anlaufstellen für das lokale und regionale Gedächtnis, sammeln und bewahren Materialien, vermitteln Wissen. Sie können die in Schulbüchern oft abstrakte Geschichte in die Lebenswelt des einzelnen Ortes holen. Bürgerschaftliches Engagement ist in diesem Bereich ebenso wichtig wie in Sport-, Naturschutz- oder caritativen Vereinen.
Die Workshopreihe (hier #Geschichtsvereine20 im September 2020 in Dresden) widmet sich u.a. neuen Veranstaltungsformate, Mitgliedergewinnung und moderne Kommunikationsformen.
(alle Fotos: Robert Matzke)
Wie bewerten Sie den Ist-Stand bei der Vernetzung der Geschichtsvereine in Mitteldeutschland? Wäre ein bundesländerübergreifender Dachverband aus Ihrer Sicht denkbar bzw. wünschenswert?
In Sachsen gibt es seit etwa fünf Jahren regelmäßige Weiterbildungsangebote für Heimatforschende und Ortschronist:innen durch das Sächsische Landeskuratorium Ländlicher Raum, die bislang allerdings nur in befristeten Projektstrukturen verankert sind. Vom Landeskuratorium werden auch viele Schulungen für Ehrenamtler:innen insgesamt angeboten. Daneben engagiert sich die Landesstelle für Museumswesen in der Beratung nichtstaatlicher Museen, wo es viele Schnittmengen zum historischen Ehrenamt gibt. Gezielte Angebote für Geschichtsvereine und ihre spezifischen Herausforderungen gab es jedoch bislang nicht. Hier sind wir offenbar auf eine Lücke gestoßen.
Die Situation in Sachsen-Anhalt und Thüringen kann ich selbst nicht beurteilen – allein das zeigt, dass wir noch zu wenig voneinander wissen und das ausbaufähig ist! Ein bundesweiter Dachverband existiert mit dem Gesamtverein der Geschichts- und Altertumsvereine bereits seit 1852; in ihm sind über 200 Mitgliedsvereine organisiert. Wichtig ist es aber vor allem, in einem regionalen Umfeld engere Verbindungen zu stiften und zu leben. Dafür sollte auf bestehenden Strukturen ausgebaut und für Verstetigung gesorgt werden.
Wie lässt sich Ihrer Meinung nach die jüngere Generation für historische Themen sensibilisieren – und vielleicht sogar für eine Mitwirkung in derartigen Vereinen gewinnen?
Dabei muss man natürlich zuerst nach dem Freizeitverhalten der jeweiligen Zielgruppe fragen, denn eine Mitarbeit in einem Verein sollte vor allem Spaß machen. Wie informieren sich Menschen heute? An welchen Veranstaltungsformaten besteht Interesse? Steht Wissenserwerb im Vordergrund oder eher kreatives Mitgestalten? Daraus gilt es dann gezielte Angebote zu entwickeln. Social-Media-Aktivitäten, ein Podcast, ein Blog, Citizen-Science-Projekte können hier mehr Sichtbarkeit und Attraktivität bringen und brauchen selbst genau diese kreativen Geister. Mit Themen der lokalen Geschichte kann man hier oft Interesse wecken. Zahlreiche Vereine probieren auch gerade viel Neues aus. Genau deshalb ist dieser Austausch so wichtig.
Wie würden Sie die Herausforderungen umreißen, mit denen sich historisch arbeitende Vereine derzeit unmittelbar konfrontiert sehen? Und welche Form von Unterstützung wünschen Sie sich, etwa aus der Landespolitik?
Die Herausforderung besteht vor allem darin, die Vereine zukunftsfähig zu machen und zu erhalten. Dabei geht es natürlich um Nachwuchsgewinnung, aber auch um ein Miteinander aller Generationen in den Vereinen. Wünschenswert wäre eine nachhaltige Unterstützung aller Träger und Akteure, die als Multiplikatoren agieren. Wünschenswert wären aber auch mehr Möglichkeiten, regionale und lokale Themen im Geschichtsunterricht behandeln zu können, um Neugier am historischen Forschen und Entdecken vor der eigenen Haustür zu entwickeln. Die Geschichtsvereine sind hier ganz sicher interessierte Partner. Starre Lehrpläne stehen dem aber oft entgegen.
Die Fragen stellte Frank Kaltofen (Redaktion Mitteldeutsches Magazin).
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