Porträtbild der Dichterin Anna Louisa Karsch

Anna Louisa Karsch: plötzlich Poetin?!

Dass Frauen als Literaten auftraten, war im 18. Jahrhundert alles andere als selbstverständlich. Anlässlich des Themenjahres „Frauen und Künste“ blickt das Gleimhaus Halberstadt, eines der ältesten deutschen Literaturmuseen, auf die Dichterin Anna Louisa Karsch, die vor 300 Jahren geboren wurde.
 

von Dr. Ute Pott

Nach dem Jubiläumsjahr 2019 zu Ehren des 300. Geburtstages des Dichters Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) reiht sich in diesem Jahr die Dichterin Anna Louisa Karsch in die Folge der Dreihundertjährigen ein. 
Anna Louisa Karsch, geborene Dürbach, geschiedene Hiersekorn, genannt die Karschin (* 1. Dezember 1722 in Hammer, in der Nähe von Schwiebus; † 12. Oktober 1791 in Berlin) galt als erste ‚freie Autorin‘, also als erste Schriftstellerin im deutschsprachigen Bereich, die von den Einkünften ihrer Dichtung existieren konnte. Die Dichterin ist eine der faszinierendsten Autorinnen des 18. Jahrhunderts, die ein umfangreiches literarisches und briefliches Werk hinterlassen hat. 

In ärmlichen Verhältnissen in Schlesien und Polen aufgewachsen und im Lesen und Schreiben mit Grundkenntnissen ausgestattet, musste die Poetin ihre Familie durch die Einkünfte ihrer Gelegenheitsdichtung und durch Unterstützung reicher Freunde ernähren. Sie war zweimal verheiratet und brachte sieben Kinder zur Welt, von denen nicht alle das Erwachsenenalter erreichten. 

Autodidaktisch bildete sie sich stets weiter und baute sehr gezielt ein Netzwerk von Freunden und Förderern (sowie später von Geförderten) aus. Adlige Gönner ermöglichten ihr 1761 den Umzug nach Berlin, wo sie als Dichterin gefeiert wurde. Sie blieb – mit Ausnahme der zeitweisen Verlagerung des preußischen Hofes nach Magdeburg (1761-1762) im Siebenjährigen Krieg, als Karsch auch in die Elbe-Stadt zog – in Berlin. 

Sie gab dem literarischen Leben wichtige Impulse. Ihre Fähigkeit, aus dem Stegreif zu dichten, wurde immer wieder bestaunt. Sie hatte Zugang zu den gebildeten, literarisch-geselligen Kreisen, sogar zum preußischen Hof, hielt aber auch weiterhin Kontakt zu den unteren Bevölkerungsschichten. Sie erhielt den Beinamen einer „deutschen Sappho“, in Verweis auf jene antike griechische Dichterin, die als wichtigste Lyrikerin des klassischen Altertums gilt. Der preußische König Friedrich Wilhelm II. ließ ihr in Anerkennung ihrer Verdienste in Berlin ein Haus bauen; Johann Wilhelm Ludwig Gleim ließ ihr in Berlin eine Gedenktafel an der Sophienkirche anbringen. 

Sie behauptete sich nicht nur in einer Männerdomäne selbstbewusst, sie bestritt auch den Lebensunterhalt ihrer Familie und förderte Bedürftige. Damit dient sie heute noch als Vorbild für Frauen. Durch ihre niedere Herkunft, ihr Geschlecht, ihre besondere Bildungsgeschichte, aber auch durch ihre Bekanntheit, ihren Erfolg sowie ihr ungewöhnliches Auftreten und ihre eigenwilligen Gedichte und Briefe ist sie eine der schillerndsten Frauengestalten der deutschen Aufklärung.

Porträtbilder im Gleimhaus Halberstadt

Das Portrait von Anna Louisa Karsch im so genannten Freundschaftstempel des Gleimhauses. Groß im Zentrum: der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim. 

Noch bis zum 16. April 2023 ist die Ausstellung zu Anna Louisa Karsch: „Plötzlich Poetin!? Anna Louisa Karsch – Leben und Werk“ in dem Literaturmuseum zu sehen.

 

(alle Fotos: Gleimhaus Halberstadt)

Sie war Johann Wilhelm Ludwig Gleim über drei Jahrzehnte eine treue, aber auch anspruchsvolle Freundin. Mit dem Halberstädter Dichter und Domsekretär Gleim war sie seit 1761 bis zu ihrem Tod freundschaftlich verbunden. Schrieb sie ihm zu Beginn ihrer Verbindung Liebesbriefe und -gedichte, so ließ sie sich schließlich auf eine Freundschaft ein. Gleim war beteiligt an der ersten großen Herausgabe ihrer Dichtung (Auserlesene Gedichte, 1764); die Einnahmen sicherten ihr fortan den Lebensunterhalt. 

Der Halberstädter Domdechant Ernst Ludwig Christoph Freiherr Spiegel zum D(i)esenberg ließ ihr ein Denkmal errichten. Bei der von dem Bildhauer J. C. Stubinitzky 1782 bis 1784 gefertigten Bildsäule handelt es sich um die erste vollplastische Darstellung eines deutschen Dichters – in diesem Fall aber eben für eine Dichterin, die „deutsche Sappho“. Zunächst aufgestellt im Landschaftspark Spiegelsberge bei Halberstadt, hat sie nun ihren Standort im Halberstädter Gleimhaus gefunden. 

Das Gleimhaus bewahrt auch die größte Handschriftensammlung der Dichterin mit etwa 2.000 Briefen und Gedichten. Ergänzt wird dies durch die eigenhändige Lebensbeschreibung in Briefen an Johann Georg Sulzer sowie durch Briefe an Karsch. Im Gleimhaus befindet sich neben einigen Porträtgrafiken das einzige erhaltene Porträtgemälde der Dichterin und hat seinen Platz im Freundschaftstempel an der Seite Gleims gefunden. Entsprechend ist das Gleimhaus auch als „Frauenort“ in Sachsen-Anhalt definiert. 

Es ist vermutlich auch der einzige Ort, der ihr zum 300. Geburtstag ein ganzes Themenjahr „Frauen und Künste“ vom April 2022 bis 2023 widmet. Die Karsch-Ausstellung von Oktober 2022 bis April 2023 will auf das Aufsehen erregende Leben der Dichterin hinweisen und deutlich machen, dass sich Karsch von Hindernissen nicht abschrecken ließ. Die Exposition will aber auch das Werk der Dichterin im Kontext der Literaturgeschichte der Zeit vorstellen und hierbei zugleich die Situation von schreibenden Frauen im 18. Jahrhundert näher beleuchten. Auch soll das Wirken der Dichterin über den Tod hinaus in den Blick genommen werden; hierzu zählt die weibliche Dichter-Genealogie, die durch Karsch begründet wurde und über die Tochter Caroline Luise von Klencke zur Enkelin Helmina von Chézy führt. Der Ausstellungstitel „Plötzlich Poetin!?“ greift das Phänomen von Karschs überraschendem Ruhm auf (‚Entdeckung‘ im literarischen Leben Berlins 1761-1762), wirft aber auch neue Fragen zur Vorgeschichte und den späteren Jahren auf und stellt damit übliche Erzählungen zu Leben und Werk der Dichterin infrage, bei denen das Hauptaugenmerk lediglich auf den ersten Erfolgsjahren in Berlin (und Magdeburg) liegt. 

Die Autorin

Dr. Ute Pott ist Direktorin des Gleimhauses in Halberstadt. Sie studierte Germanistik, Psychologie und Soziologie in Göttingen und Berlin. Sie hat zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu kulturgeschichtlichen Themen realisiert und museumsdidaktische Vermittlungsprojekte initiiert. Sie ist die Vorstandssprecherin der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG) und Vorstandsmitglied des Deutschen Museumsbundes. Als Lehrbeauftragte ist sie an den Universitäten in Halle und Magdeburg tätig.

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